An sich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein Christ tut, was sein Herr und Gott ihm befiehlt. Wenn der Herr sagt: «Tu das!», dann sollte man es tun; wenn Er sagt: «Lass das!», dann sollte man es lassen; wenn Er sagt: «Geh dorthin!», dann sollte man dorthin gehen; und wenn Er sagt: «Bleib!», dann sollte man bleiben. Leider gilt aber heute in Bezug auf Christen grösstenteils dasselbe wie in Bezug auf Menschen, die keine Christen sind: «6 Die meisten Menschen rufen ein jeder seine Güte aus; aber einen zuverlässigen Mann, wer wird ihn finden?» (Spr 20, 6). Ja, wo findet man noch einen Christen, der Seinem Herrn und Meister einfach bedingungslos in allem gehorcht? Solche Menschen sind so selten geworden, dass wir unsere Glaubensgeschwister regelmässig aufrufen müssen, ihr Leben im Gehorsam zu leben. Nicht selten nennt man solche Ermahnungen Aufrufe zur Nachfolge. Aber zu tun, was der Herr befiehlt, ist keine Nachfolge, sondern eben nichts weiter als – an sich selbstverständlicher – Gehorsam. Nachfolge ist viel mehr als Gehorsam:
Am Ende seiner Zeit als Prophet Israels führte Elia Elisa in den Dienst ein, damit dieser ihn dann ablösen könne. Als die Zeit des Weggehens Elias gekommen war, befanden sich die beiden Propheten in Gilgal, einer Stadt ganz in der Nähe des Jordans. Elia, der nun wusste, dass der Moment gekommen war, «sprach zu Elisa: Bleib doch hier; denn der Herr hat mich bis nach Bethel gesandt» (2. Kön 2, 2), einer Stadt die etwa 25 Kilometer und damit einen Fussmarsch von etwa fünf Stunden von Gilgal entfernt lag. Elisa wusste, dass die Zeit gekommen war (2. Kön 2, 3. 5), und vielleicht wusste er sogar, dass Elia über den Jordan gehen musste, bevor er im Sturmwind auffahren konnte, dass der Marsch nach Bethel Elia also genau in die falsche Richtung führen musste. Wie auch immer, Elia gab Elisa die klare Erlaubnis, den langen Fussmarsch nicht auf sich nehmen zu müssen: «Bleib doch hier»! Hätte Elisa nur das getan, wozu ihn Elia jeweils anwies, wäre er in Gilgal geblieben, denn Elia hatte ihm ja die ausdrückliche Erlaubnis dafür gegeben.
Wenn der Herr uns sagt: «Komm mit!», dann ist es eine Frage des Gehorsams, ob wir mitgehen oder bleiben, wo wir sind. Gehen wir mit, sind wir gehorsam; bleiben wir, sind wir ungehorsam. Wenn aber der Herr uns sagt: «Ich gehe; bleib doch hier!», dann ist es keine Frage des Gehorsams, ob wir mitgehen oder bleiben, wo wir sind. Gehen wir mit, sind wir gehorsam; bleiben wir, sind wir ebenfalls gehorsam. Wie Elisa kein Gebot Elias missachtet hätte, wenn er in Gilgal geblieben wäre, missachten wir kein Gebot des Herrn, wenn wir auf Seine Erlaubnis hin bleiben, wo wir sind, während Er weggeht. Nur sind wir dann keine wahren Nachfolger, weil wir Ihm ja gerade nicht nachfolgen. Wer sich sagt: «Solange der Herr mir keinen Befehl gibt, bleibe ich, wo ich bin», verhält sich wie ein Knecht, der von Natur aus faul ist, aber alles tut, was man ihm gebietet (und wofür man ihn bezahlt). Eine solche Haltung ist nicht völlig verkehrt, denn wir sind (unnütze) Knechte des Herrn; von uns werden unbedingter Gehorsam und Fleiss verlangt (Lk 17, 10). Doch der Herr Jesus hat auch gesagt: «15 Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiss nicht, was sein Herr tut; euch aber habe ich Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört habe, euch kundgetan habe» (Joh 15, 15). Wir sind so viel mehr als Knechte Gottes! Er hat uns Seine Freunde genannt, uns alles kundgetan, was Er von Seinem – unserem! – Vater gehört hat, und uns immer wieder gezeigt, wie wichtig Ihm die Gemeinschaft mit uns ist. Ein Knecht und sein Meister sind nur durch ihr Arbeitsverhältnis miteinander verbunden. Zwischen zwei Freunden besteht aber ein viel stärkeres Band: Sie kennen und lieben einander; sie suchen die Gemeinschaft zueinander. Wer sich also sagt: «Solange der Herr mir keinen Befehl gibt, bleibe ich, wo ich bin», missachtet die Freundschaft des Herrn und ist ganz gewiss kein Nachfolger.
Elisas Verhalten gegenüber Elia zeigt den Unterschied zwischen einem blossen Knecht und einem Nachfolger sehr schön auf: Für ihn kam es keineswegs in Frage, von seinem Meister getrennt zu werden: «So wahr der Herr lebt und deine Seele lebt, wenn ich dich verlasse!» (2. Kön 2, 2). Die Wendung «wenn ich … !» ist ein Kraftausdruck, die erste Hälfte eines (bedingten) Fluches. Man kann sich hinter die Antwort Elisas also denken: «…, dann soll ich verflucht sein!» Stärker hätte Elisa folglich nicht zum Ausdruck bringen können, dass er Elia überall hin gefolgt wäre. So gingen die beiden zusammen nach Bethel. Wenn wir daran denken, welchen Segen die beiden Jünger erfahren haben, die nach dem Tod (und – was sie nicht wussten – nach der Auferstehung) Jesu nach Emmaus gingen, das nur gut elf Kilometer von Jerusalem (also nur halb so weit wie Bethel von Gilgal) entfernt lag (vgl. Lk 24, 13), dann dürfen wir sicher sein, dass der lange Fussmarsch von Gilgal nach Bethel nicht nur beschwerlich, sondern auch reich gesegnet war. Was mochte Elisa in dieser Zeit alles von Elia, dem ausgezeichneten Knecht des Herrn, gehört haben?